Warum der Kaiser wieder vors Rathaus soll
Hamburger Abendblatt vom 14.12.2011
Bis 1930 schmückte ein Reiterstandbild von Wilhelm I. den Platz vor dem Regierungssitz. Ein Plädoyer für eine Wiederbelebung. Von Hans J. Kleinsteuber, 68, ist seit 1976 Professor für Politologie an der Universität Hamburg. 2008 wurde er emeritiert. Er lebt in Eimsbüttel. Foto: Klaus Bodig.
Hamburg. Also wirklich? Doch nicht dieser Wilhelm in der stolzen Stadtrepublik Hamburg ... Die Handelskammer beklagt, dass der Rathausmarkt so groß und leer ist und nur wenige Bürger darüberhasten, statt zu verharren. Er müsse zum Dreh- und Angelpunkt werden, die Stadtmitte markieren. Vorbilder sind der Markusplatz in Venedig oder die Plaza Mayor in Madrid. Die Kammer hat recht, der Platz ist verschenkt, er strahlt eine eigentümlich menschenferne Öde aus.Auf Hunderten europäischer Marktplätze findet ein regelmäßiger Markt statt, mit bäuerlichen Produkten aus der Umgebung. Das belebt jeden Platz, dann wird es nicht lange dauern, und Freiluft-Cafés und Restaurants siedeln sich an. Unser Rathausmarkt ist dagegen schlicht leer. Was nur wenige erinnern: Er trägt eine Wunde.
Nach langen Planungen war 1897 das heutige Rathaus eingeweiht worden, 1903 wurde auch der Platz davor fertig. Die damaligen Machthaber, das zeigt auch die Rathausfassade, waren große Anhänger der deutschen Kaiser. Und das setzten sie auf dem Rathausmarkt fort. Dort errichteten sie eine gigantische Erinnerungsanlage an den Reichsgründer von 1871, Kaiser Wilhelm I. Der war damals offensichtlich recht populär, in Deutschland erinnern mehr als 1000 Denkmäler an ihn. Historisch gesehen hatte der gelernte Militär eher wenig mit der Reichsgründung zu tun, Bismarck hatte Mühe, ihm die Kaiserkrone anzutragen.
Aber die Hamburger huldigten Wilhelm mit einem groß dimensionierten Standbild, fünfeinhalb Meter für Ross und Reiter, stehend auf einem sechs Meter hohen, polierten Granitsockel, geschmückt mit Bronzereliefs. Auf einem großflächigen Plateau wurde um ihn herum ein Gesamtkunstwerk arrangiert, vier große Figurengruppen feierten die Errungenschaften des neuen Reichs (Welthandel, Reichsgesetzgebung, Sozialversorgung, Maß- und Münzsystem). Es gab Steinbalustraden, und Sitzbänke luden zum Verweilen ein. Hohe Flaggen- und Lichtmasten flankierten die Anlage, Bäume rundeten das Ensemble ab. Alles, was blieb, sind die beiden Fahnenmasten.
Man muss das sichere Stilempfinden der damaligen Machthaber loben. Das Rathaus brauchte einen Gegenpol und fand ihn in diesem Platzarrangement, das damals die gewaltige Summe von gut einer Million Reichsmark verschlang. Dafür hatte die Stadt ihre Mitte. Alte Fotos zeigen, dass damals viele Menschen auf dem verkehrsfreien Platz unterwegs waren. Der Erlebnischarakter muss enorm gewesen sein.
Hamburgs Machthaber, allesamt Geschäftsleute, feierten den Kaiser, weil sie Gewinner der Reichsgründung waren. Sie konnten nun Zollgebiet des Deutschen Reichs ihre Geschäfte machen, und kam ihr Fernhandel in Schwierigkeiten, half die kaiserliche Militärmarine aus. Um nicht allzu sehr den preußischen Militarismus zu zelebrieren, ließ man den pickelbehaubten Kaiser schlichte Uniform tragen. Die Figurengruppen symbolisierten, wofür man ihn schätzte. Übrigens ritt der Kaiser auf das Rathaus zu, was ungewöhnlich war, er war eben nur als Gast, nicht als Herrscher willkommen.
Seit 1961 steht der reitende Wilhelm in Planten un Blomen
Unumstritten war die Kaiseranlage nie, viele Sozialdemokraten und Hamburgs berühmter Baumeister Fritz Schumacher wollten sie loswerden. Als Hamburg 1918 Revolution und Kaiser-Abdankung erlebte, erhielt das Denkmal erste Beschädigungen. Es passte beim besten Willen nicht mehr zum Geist der neuen demokratischen Stadt. 1930 verschwand es endgültig, der Rathausmarkt wurde zum gesichtslosen Verkehrsknotenpunkt ausgebaut. So entstand die heutige Wunde, Hamburg ging die urbane Mitte verloren.Doch den reitenden Wilhelm gibt es nach wie vor. Er steht seit 1961 im Park Planten un Blomen auf einem Betonsockel, kaum sichtbar hinter Bäumen. Und auch die Figurengruppen sind inzwischen dort aufgestellt worden, anderes blieb verschollen. Die Denkmalgruppe hat zwar ebenso erhabene wie lächerliche Züge, doch sie wurde für den Rathausmarkt geschaffen. Und dort gehört sie wieder hin. Die Kosten der Umtopfung werden sich in Grenzen halten, denn es sind noch genug Versatzstücke vorhanden. Mittelfristig könnte man das Ensemble dann um republikanische Attribute ergänzen, erinnert sei an das Vis-à-vis von Kriegerdenkmal und Alfred Hrdlickas Gegendenkmal am Dammtor.
Kaiser Wilhelm vor dem Rathaus? Das gibt es längst in der Hansestadt. Er reitet nämlich auch vor dem Altonaer Rathaus, diesmal als Herrscher der Stadt, der sich vom Rathaus entfernt.
Die Handelskammer nennt als Vorbild den "großen Platz" in Madrid, der tatsächlich Tag und Nacht pulsiert. Auch hier gilt: Sein Ruhepunkt mittendrin ist ein Reiterstandbild, es ehrt Philipp III. , der auch keine Größe der spanischen Geschichte war. Der wunderbare Markusplatz in Venedig kommt ohne vergleichbares Denkmal aus, denn er ist von großartiger Bebauung umgeben, auf die der Blick frei bleiben muss. Aber auch hier kann Hamburg lernen. Der berühmte Campanile von St. Markus ist begehbar, der Blick von der Glockenstube atemberaubend. Auch der noch höhere Hamburger Rathausturm würde eine großartige Aussicht ermöglichen. Leider ist er für Besucher nicht nutzbar. Auch das sollte man ändern. Bürger und Besucher werden es lohnen.