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Der geschenkte Gaul
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.01.2012
Im niedersächsischen Oldenburg wird eine bizarre Debatte um die Aufstellung eines Reiterstandbilds geführt, das einen frühneuzeitlichen Lokalfürsten zeigt. Von MAIK NOLTE
Anton Günther, der letzte der Oldenburger Grafen, ist im Stadtbild gut repräsentiert. Eine Straße ist ebenso nach ihm benannt wie eine Schule, es gibt zwei überdimensionierte Wandbilder von ihm, seine Grablege in der größten Oldenburger Kirche wurde in den vergangenen Jahren aufwendig wiederhergestellt und ein als Graf verkleideter Schauspieler führt nicht nur den Umzug zur jährlichen Kirmes an, sondern mitunter auch Touristen durch die Stadt.Es sind im Wesentlichen zwei Gründe, die dem 1667 verstorbenen Monarchen diese folkloristisch geprägte Prominenz verschaffen: Anton Günther wird von vielen als Begründer der berühmten Oldenburger Pferdezucht angesehen, vor allem aber ersparte er der Stadt durch diplomatisches Geschick die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges. Deshalb, sagt Horst Milde, habe er auch ein Denkmal verdient: "Solche Politiker kann man sich heute nur wünschen."
Horst Milde ist in Oldenburg nicht irgendwer. Er ist selbst Politiker, fünfzehn Jahre lang war er Oberbürgermeister der Stadt, zwanzig Jahre saß er für die SPD im Niedersächsischen Landtag, die Hälfte davon als dessen Präsident. Und diesen Landtag möchte Milde nun für sein Ansinnen mobilisieren. Denn das Anton-Günther-Denkmal will in der Stadt offenbar niemand haben, zumindest niemand Offizielles, "dabei", klagt Milde, "ist es doch geschenkt". Denn die Statue existiert bereits, der Graf hoch zu Ross auf seinem überzüchteten Apfelschimmel, in Überlebensgröße, die Reitgerte in der Hand. Zwei Privatpersonen haben es aus eigener Tasche bezahlt und bei einem Reitturnier in einem Oldenburger Vorort der pferdebegeisterten Öffentlichkeit präsentiert. Abgesprochen aber war das mit keinem der städtischen Entscheidungsträger, und das ist jetzt eines der Hauptprobleme.
Denn es handelt sich um ein Reiterstandbild, wie es klassischer und historistischer nicht sein könnte. Geschichtswissenschaftler schlagen die Hände über dem Kopf zusammen: So etwas habe es "seit 1918 nicht mehr gegeben", sagt Michael Reinbold vom örtlichen Landesmuseum: "Das ist ein Anachronismus." Reiterstandbilder seien von jeher "Machtsymbole zur Propagierung von Herrschaftsinteressen" gewesen, erklärt Stephan Scholz, Historiker an der Universität Oldenburg. In der Stadt war bereits um 1840 eine ähnliche Initiative recht kläglich gescheitert, eine weitere ging achtzig Jahre später mangels Geld und Interesse ein; im demokratischen wie kriegsgebeutelten Deutschland mäßigte sich der Bedarf an hochherrschaftlicher Symbolik. Und wenn man Vertreter der Parteien, der Verwaltung und der Kulturinstitutionen in Oldenburg fragt, hat sich daran bis heute auch nichts geändert... (weiter auf Seite 2)